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Das Universum ist der Logik stets um einen Schritt voraus.
Lady Anirul Corrino, privates Tagebuch
In Burg Caladan und den nahe gelegenen Militärkasernen herrschte lebhafte Aktivität. Die Soldaten der Atreides exerzierten und packten die nötige Ausrüstung für den großen Feldzug ein. Sie reinigten die Waffen und überprüften Bomben und Belagerungsmaschinen. Sie konnten es kaum erwarten, in den Kampf zu ziehen.
Die Koordination einer so komplexen Aktion war seit Monaten vorbereitet worden. Herzog Leto hatte die Hauswache angewiesen, keine Mühe zu scheuen. Das war er Rhombur schuldig, und er war bereit, alles zu riskieren, was dazu nötig war.
Rhombur und Gurney könnten längst tot sein. Leto hatte nichts mehr von ihnen gehört, keinen Hilferuf, keine Erfolgsmeldung, kein einziges Wort. Oder sie sind längst dabei, den Feuersturm der Revolution zu entfachen. Nach dem Heighliner-Unfall waren die Agenten auf unheimliche Weise verstummt. Von Ix waren keine Nachrichten mehr gekommen. Trotzdem werden wir unser Bestes geben. Und hoffen.
Aber falls Rhombur keinen Erfolg hatte und die Atreides-Truppen von den Tleilaxu und Sardaukar geschlagen wurden, musste sich Leto auf ein ernstes Nachspiel gefasst machen. Vielleicht hatte ganz Caladan unter den Konsequenzen zu leiden. Thufir Hawat war ungewöhnlich nervös.
Leto jedoch war fest entschlossen. Für ihn gab es nun kein Zurück mehr. Er wollte das Spiel riskieren und sich mit allem, was er hatte, in den Kampf stürzen, selbst wenn sein friedlicher Heimatplanet für eine Weile völlig schutzlos war. Nur auf diese Weise konnte er Rhombur und sein eigenes Ehrgefühl wieder aufbauen.
Die Pläne wurden mit unwiderstehlicher Gewalt in die Tat umgesetzt.
Leto musste tausend Entscheidungen treffen, doch den endgültigen wich er aus und stieg lieber zum Hafen unter der Burg hinab. Als Oberhaupt seines Großen Hauses hatte er Pflichten zu erfüllen, die ihm weitaus angenehmer waren. Dennoch wünschte er sich, Jessica könnte bei ihm sein.
Die große Fischereiflotte kehrte soeben zurück, nachdem sich die Boote in den vergangenen zwei warmen Wochen vor den Riffen aufgehalten hatten. Einmal im Jahr liefen sie zum großen Fischzug aus und füllten ihre Netze mit Goblingen. Die kleinen bläulich-silbrigen Fische wurden gewaschen und gesalzen und während eines traditionellen Festes in großen Bottichen gekocht. Die Menschen versammelten sich an Holztischen, um die köstlichen Goblinge zu genießen. Der Herzog liebte diese Delikatesse genauso wie der einfachste Fischer von Caladan.
Rhombur mochte die Goblinge sogar noch mehr als Leto, und dies war seit Jahren der erste Festschmaus, den sich der ixianische Prinz entgehen ließ. Leto wehrte sich gegen sein Gefühl einer dunklen Vorahnung. Das lange Warten hatte seine Geduld erschöpft.
Weit von den hektischen Kriegsvorbereitungen entfernt stand er am Hafen und beobachtete, wie die ersten Kutter anlegten. Es hatte sich bereits eine große Menschenmenge versammelt, während Händler und Köche sich beeilten, auf dem alten Dorfplatz Tische, Kessel und Verkaufsstände aufzustellen.
Leto hörte, wie Musikanten aufspielten. Die Klänge entlockten ihm ein Lächeln und erinnerten ihn daran, wie Rhombur und Gurney gemeinsam auf dem Baliset geübt und sich gegenseitig mit unverschämten Liedern und satirischen Texten zu übertreffen versucht hatten.
Obwohl der Herzog diesen Augenblick des Friedens genießen wollte, hatten Duncan Idaho und Thufir Hawat ihn bald entdeckt und schoben sich durch die dichte, lärmende Masse in seine Richtung. »Sie sollten jederzeit Leibwachen an Ihrer Seite haben, mein Herzog«, ermahnte ihn der Mentat.
»Du musst noch viele Fragen beantworten und über die Art der Bewaffnung entscheiden«, fügte Duncan hinzu. »Die Flotte soll in Kürze aufbrechen.« Als Schwertmeister würde er die Atreides-Streitkräfte nach Ix führen, genauso wie er schon den Angriff gegen Beakkal geleitet hatte.
In seiner Stellung als Oberhaupt des Hauses Atreides konnte Leto es sich nicht erlauben, an den eigentlichen Kämpfen teilzunehmen, obwohl er sich wünschte, er hätte sich an die Spitze seiner Truppen setzen können. Stattdessen würde er Thufirs Rat befolgen und den Kampf auf dem politischen Schlachtfeld Kaitains ausfechten. Dort wollte er seine Handlungen in einer offiziellen Bekanntmachung erklären. »Das ist die Aufgabe eines Herzogs«, hatte der ergraute Mentat insistiert.
Nun blickte Leto zu den steilen Wegen hinauf, die zur Spitze der Klippe führten. Aus dieser Perspektive konnte er die oberen Stockwerke der Burg erkennen. »Die Zeit für einen größeren Feldzug ist günstig. Während die furchtbare Seuche auf Beakkal tobt, ist Imperator Shaddam mit seinen eigenen Intrigen ausgelastet. Wir haben die Tleilaxu von Ix vertrieben, bevor er weiß, was geschehen ist.«
»Ich habe Bilder von der Dschungelwelt gesehen«, sagte Duncan. »Shaddam kann sich herausreden, wie er will, aber ich zweifle nicht einen Augenblick daran, dass er genau diese Entwicklung geplant hat.«
Leto nickte. »Die Zerstörung des Ökosystems von Beakkal geht über jede Form der Rache hinaus, die ich für die Verbrechen dieser Welt hätte fordern können. Trotzdem bietet uns diese Situation eine ausgezeichnete Gelegenheit.« Er sah zu, wie die ersten großen Fischkutter am Kai vertäut wurden. Eifrige Helfer liefen herbei, um Taue festzuhalten und die Netze zu sichern.
»Ich habe Richese großzügige medizinische Hilfe zukommen lassen, nachdem der Planet von meinem Cousin angegriffen wurde. Jetzt wird es Zeit, dem Landsraad zu zeigen, dass das Haus Atreides auch solchen Menschen wohlgesonnen sein kann, die nicht meine Verwandten sind.« Er lächelte. »Thufir, bevor sich unsere Hauptstreitkräfte auf den Weg nach Ix machen, stellst du eine Flotte von Frachtschiffen zusammen. Sie soll von einer militärischen Eskorte begleitet werden. Ich, Herzog Leto Atreides, werde Hilfsgüter nach Beakkal schicken und keine Gegenleistung verlangen.«
Duncan reagierte entsetzt auf diesen Vorschlag. »Aber Leto! Die Beakkali haben versucht, deine Vorfahren an die Tleilaxu zu verkaufen!«
»Und wir brauchen unsere Hauswache zur Verteidigung von Caladan, während unsere Flotte Ix angreift«, fügte Hawat hinzu. »Diese Kampagne hat unsere Reserven völlig erschöpft.«
»Dann schick nur eine minimale Eskorte, Thufir, um zu zeigen, dass wir es ernst meinen. Wir haben die Beakkali bereits für ihren Fehler bestraft. Wir gewinnen nichts, wenn wir der gesamten Bevölkerung des Planeten auf ewig zürnen. Die Beakkali haben erlebt, wie unerbittlich wir sein können. Jetzt wollen wir ihnen zeigen, wie wohltätig wir sein können. Meine Mutter – die nicht in allen Punkten Unrecht hat – hat mich daran erinnert, dass ein Herrscher sowohl Entschlossenheit als auch Mitgefühl demonstrieren muss.«
Er presste die Lippen zusammen, als er an die Gespräche mit Rhombur dachte – über das Thema Herrschaft und wie politische Erwägungen, die zwar von großer Bedeutung waren, dennoch gegen die Bedürfnisse des Volkes abgewogen werden mussten.
»Ich sage euch, dass ich es für die Bewohner von Beakkal tue, nicht für ihre Politiker. Es ist keine Belohnung für das, was der Senat getan hat, und man soll es auch nicht als Versöhnungsgeste oder auch nur die Annahme einer Entschuldigung verstehen.«
Thufir Hawat runzelte die Stirn. »Heißt das, Sie wünschen, dass ich Ihre Truppen nicht nach Ix begleite, Herr?«
Leto blickte seinen alten Berater lächelnd an. »Ich brauche dein diplomatisches Geschick für die Beakkal-Mission, Thufir. Es könnte zu Spannungen mit den imperialen Blockadetruppen kommen. Der Planet steht unter strenger Quarantäne, aber ich wette, dass der Imperator nicht den ausdrücklichen Befehl erteilt hat, Schiffe zu vernichten, die keinen Landeversuch unternehmen. Diese Grauzone sollst du ausloten, Thufir.«
Der Mentat und der Schwertmeister sahen Leto an, als hätte er den Verstand verloren.
»Du wirst zweifellos die Aufmerksamkeit der Sardaukar und vielleicht sogar die Shaddams auf dich lenken«, fuhr Leto fort. »Es könnte eine ziemlich spektakuläre Aktion werden.«
Duncans Miene hellte sich auf, als er den wahren Hintergrund verstand. »Natürlich, es ist eine Ablenkung! Der Imperator muss sich einfach um diese dramatische Entwicklung kümmern. Wenn Thufir zum Blockadebrecher wird, achtet niemand mehr darauf, was sich anderswo tut. Weitere Sardaukar-Truppen werden nach Beakkal abkommandiert. Und wir können unsere Streitmacht über Ix in Stellung bringen, bevor irgendjemand eine Nachricht nach Kaitain absetzen kann. Die Sardaukar auf Ix sind ganz auf sich allein gestellt. Die Lieferung der Hilfsgüter dient nur der Ablenkung.«
»Genau. Aber trotzdem kann ich damit dem Volk von Beakkal etwas Gutes tun und mir gleichzeitig mehr Respekt im Landsraad verschaffen. Wenn ich all meine Reserven für den Kampf um Ix einsetze, brauche ich jeden Verbündeten, den ich auf meine Seite ziehen kann.«
Auf dem überfüllten Kai wurden mit knirschenden Kränen pralle Fischnetze aus den Laderäumen der Kutter gehievt. Die übrigen Schiffe warteten im Hafenbecken, da nicht alle gleichzeitig entladen und versorgt werden konnten.
Duncan lief zu den Kasernen der Hauswache zurück, während Leto blieb, um am Fest teilzunehmen. Hawat bestand darauf, seinen Herzog als Leibwächter zu beschützen.
Ein Netz nach dem anderen mit Millionen silbriger Goblinge wurde an Land geholt. Ein intensiver Fischgeruch breitete sich aus. Kräftige Arbeiter schaufelten den wimmelnden Fang in Bottiche, die mit Wasser und Salz gefüllt waren. Die Köche benutzten Schaumkellen, um die gesäuberten Goblinge herauszuholen und in dampfende Kessel mit würziger Brühe zu werfen.
Leto tauchte die Arme bis zu den Ellbogen in einen großen Bottich, holte eine Handvoll kleiner Fische heraus und reichte sie an die Helfer in der Menschenkette weiter. Die Leute waren begeistert. Leto liebte diese Arbeit.
Thufir Hawat schritt steif durch die dicht gedrängten Menschen und war ständig auf der Hut vor Assassinen, die sich möglicherweise zwischen den Fischern verbargen.
Leto hatte inzwischen an einem Holztisch unter freiem Himmel Platz genommen, um sich eine köstliche Mahlzeit aus Goblingen zu gönnen. Alle anderen jubelten und begannen ebenfalls mit dem Festmahl.
Es war der letzte friedliche Augenblick, den er für längere Zeit erleben sollte.